Berufsbildungswerke.Historisches. Systematisches.Aktuelles.

Weiser, Manfred &
Holler, Martin (2024).

Der Sammelband bietet eine umfassende Darstellung des Systems der Berufsbildungswerke (BBW) in Deutschland. Die Publikation ist eine bemerkenswerte Zusammenstellung von Beiträgen aus Wissenschaft, Praxis und den Erfahrungen ehemaliger Auszubildender und deckt ein breites Themenspektrum ab. Es ist das erste Werk seit 1986, das sich explizit dem Thema „Berufsbildungswerke“ widmet. Vorwegnehmend will ich die gelungene Verbindung von historischer Einordnung, aktueller Systematik und zukunftsorientierten Ansätzen, die das Werk zu einer fundierten Grundlage für die weitere Diskussion und Entwicklung der BBW macht, hervorheben.

Das Buch beginnt mit Geleitworten von Staatssekretär Rolf Schmachtenberg (BMAS) und Simone Fischer, Behindertenbeauftragte für Baden-Württemberg. Das Werk ist in vier Kapitel unterteilt: Historische Entwicklung, Systematische Analysen, Perspektiven der Betroffenen und Ausblicke. Jedes Kapitel bietet detaillierte Einblicke in die verschiedenen Aspekte der BBW, angefangen bei ihrer historischen Einordnung über aktuelle systemische Herausforderungen bis hin zu den Erfahrungen der Auszubildenden und den Perspektiven für die Zukunft.

Im ersten Kapitel widmen sich Hans-Walter Kranert und Roland Stein der historischen Entwicklung der Berufsbildungswerke und ihrer Einordnung als Orte der beruflichen Rehabilitation. Sie betonen die Bedeutung eines ganzheitlichen Rehabilitationsansatzes, arbeiten den historischen Kontext der Entstehung der BBW und deren gesetzliche Kodifizierung heraus; sie kritisieren Ansätze, die berufliche Rehabilitation als Reduktion auf bloße Beschäftigungsfähigkeit verstehen. Diese historische Perspektive legt den Grundstein für das Verständnis der aktuellen Strukturen und Herausforderungen, die im weiteren Verlauf des Buches detailliert behandelt werden.

Das zweite Kapitel beleuchtet aktuelle Entwicklungen und Herausforderungen. Hervorzuheben ist der Beitrag von Tanja Ergin und Tobias Schmidt, die die Rolle der Bundesarbeitsgemeinschaft der BBW als Qualitätsgemeinschaft darstellen und die beeindruckende Eingliederungsquote von 69 % der Auszubildenden in den regulären Arbeitsmarkt hervorheben. Weitere wichtige Themen in diesem Kapitel sind die Anwendung der International Classification of Functioning (ICF) und die Auswirkungen des Bundesteilhabegesetzes (BTHG). Angela Ehlers plädiert für die konsequente Anwendung der ICF, um eine umfassende, ressourcenorientierte Erfassung der Beeinträchtigungen und der Wechselwirkungen mit Umweltfaktoren zu ermöglichen. Harry Fuchs analysiert das BTHG und kommt zu dem Schluss, dass die damit verbundenen Hoffnungen nur teilweise erfüllt wurden.

Martin Holler beschäftigt sich mit der Wirkungsorientierung der BBW und betont die Notwendigkeit, die Geschäftsmodelle auf die erwarteten Wirkungen und Resultate auszurichten. Er sieht darin ein großes Potenzial, die Arbeit der BBW weiterzuentwickeln. Karl-Heinz Esser untersucht die volkswirtschaftliche Bedeutung der BBW und kommt zu dem Ergebnis, dass jeder investierte Euro in die berufliche Rehabilitation fast doppelt so viel in die öffentlichen Kassen zurückfließen lässt. „BBW sind Unternehmen in der Sozialwirtschaft“ (Holler; Weiser & Denker). Der Blick auf die BBW als Unternehmen erfordert nach den Autoren, sich mit Managementansätzen zu beschäftigen und sich auch in dieser Hinsicht zu professionalisieren. Ihr Führungsverständnis bezieht sich dabei auf das „Sich selbst führen“, auf „Mitarbeitende führen“ und auf „Die Organisation führen“. Dazu braucht es sozial-emotionale Kompetenzen, es braucht aber auch den Blick auf Kennzahlen und den Einsatz digitaler Instrumente. Ein weiterer Schwerpunkt des Kapitels liegt auf der Differenzierung der BBW nach verschiedenen Behinderungsarten. Beiträge zu den Schwerpunkten Hören, Sehen, körperliche Behinderungen und psychische Belastungen geben einen tiefen Einblick in die spezifischen Herausforderungen und Konzepte dieser Einrichtungen. Die unterschiedlichen Professionen der Autoren (Wissenschaftler, Psychiater, Psychologen, Therapeuten, Pädagogen) bilden die Grundlage für die anregenden Artikel.

Die Zunahme der jungen Menschen mit psychischen Belastungen in den BBW beschäftigt Roland Stein und Hans-Walter Kranert in ihrem Artikel. Sie beziehen sich auf ein interaktionistisches Modell der psychischen Belastungen, das die individuelle Situation wie die Umfeldbedingungen und die Verschränkung dieser Dimensionen umfasst. Interessant in diesem Zusammenhang ist auch der Artikel von Karsten Rudolf, Ärztlicher Direktor einer psychiatrischen Klinik, der sehr praxisnah und reflektiert die Kooperation mit einem BBW beschreibt. Besonders erwähnen möchte ich den Artikel von Weiser und Nenninger, die sich mit dem Thema „Gestaltung von Arbeitsbündnisse“ im rehabilitationspädagogischen Kontext beschäftigen Ausgehend von konkreten Falldarstellungen begründen sie das Konzept des Arbeitsbündnisses mit Bezug auf die grundlegenden pädagogischen Begriffe Bildung und Erziehung.

Das Arbeitsbündnis verstehen sie als einen Ansatz, der verschiedene pädagogische Konzepte, die mit Ressourcen- und Partizipationsorientierung gekennzeichnet werden können, zusammenfasst. Zukunftsweisend ist der Beitrag von Harald Ebert, der die Entwicklung der Don Bosco Berufsschule Würzburg als duale Partnerin eines BBW
beschreibt. Hier zeigt sich, wie durch innovative Konzepte und eine enge Zusammenarbeit mit den BBW die schulische Inklusion und die berufliche Integration junger Menschen mit Behinderungen vorangetrieben werden können. Der Artikel schließt an den Beitrag der Herausgeber an, die „BBW und die Komponente Sozialraum“ thematisieren.

Die Einbindung und Vernetzung von BBW in die verschiedenen Sozialräume ist immer mal wieder Thema. Die Autoren fügen die Perspektive „BBW als Sozialraum“ hinzu und betonen damit die Notwendigkeit, den aktuellen Lebens- und Arbeitsbereich der jungen Menschen als mit gestaltungsfähiges Feld zu begreifen. Dazu bedarf es – nicht nur in der Ausbildung – der professionellen Kompetenzen der Mitarbeitenden. Die Ausbilder und pädagogisch Mitarbeitenden des BBW sind verpflichtet, entsprechende Fortbildungen zu absolvieren. Die Frage der rehabilitationspädagogischen Professionalität erörtern Manfred Weiser undmKlaus-Peter Gerstner in ihrem Beitrag.

Das dritte Kapitel gibt ehemaligen Auszubildenden und Vertretern von Selbsthilfeverbänden eine Stimme. Diese Berichte verdeutlichen die persönlichen Herausforderungen, Erfolge und die Bedeutung der BBW für die soziale Teilhabe und die berufliche Integration. Die Beiträge von Betroffenen wie Nicole Eilert, die ihre Ausbildung als Bürokauffrau in einem BBW absolviert hat, und von einem Team um Maria Kaminski, das die Integration von Menschen mit Autismus in BBW beschreibt, sind besonders eindrucksvoll und geben wertvolle Einblicke in die Realität der Berufsbildungswerke. Das Thema Autismus wird – seiner Bedeutung angemessen – in verschiedenen Kapiteln behandelt. Allen gemeinsam ist die Haltung, dass die Kategorisierung „Autismus“ noch keine Aussage über die Individualität und die beruflichen Zukunftschancen der Betroffenen zulässt.

Matthias Dalferth kommt in seinem Beitrag zu den „beruflichen Perspektiven für Menschen aus dem autistischen Spektrum“; zu dem Schluss, dass junge Menschen mit Mutismus über erhebliche Potenziale verfügen, „die sich in ihrer Beschäftigungssituation gegenwärtig noch nicht widerspiegeln.“

Das letzte Kapitel beschäftigt sich mit den zukünftigen Herausforderungen und Chancen der BBW. Digitalisierung und Innovation stehen hier im Mittelpunkt. Eine Mitarbeiterin der Bundesagentur für Arbeit stellt die provokante Frage, ob die BBW ein Auslauf- oder Zukunftsmodell darstellen. Holler und Weiser thematisieren die Notwendigkeit der Sozialraumorientierung und plädieren für ein Konzept, das die vds aktuell Bedeutung der BBW als Sozialraum wahrnimmt und das die Weiteren Entwicklung der BBW durch Vernetzung im Sozialraum betreibt.

Der Sammelband von Weiser und Holler ist eine wichtige und längst überfällige Veröffentlichung, die das System der Berufsbildungswerke in Deutschland umfassend und differenziert beleuchtet. Die Kombination aus theoretischen Analysen, praxisnahen Beiträgen und den Perspektiven der Betroffenen macht das Werk zu einer unverzichtbaren Lektüre für alle, die sich mit dem Thema berufliche Rehabilitation und Inklusion von Menschen mit Behinderungen beschäftigen. Besonders hervorzuheben ist die gelungene Verbindung von historischer Einordnung, aktueller Systematik und zukunftsorientierten Ansätzen, die das Werk zu einer fundierten Grundlage für die weitere Diskussion und Entwicklung der Berufsbildungswerke macht.

Isaac Mauricio Burgos Celedon