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Editorial
Liebe Leserinnen und Leser!
Im Mai dieses Jahres veröffentlichte das Land Nordrhein-Westfalen ein Gutachten „Zum wissenschaftlichen Prüfauftrag zur steigenden Anzahl an Schülerinnen und Schülern mit Bedarf an sonderpädagogischer Unterstützung“. Die Empfehlungen der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler beziehen sich auf präzise Definitionen für Bedarfe an sonderpädagogischer Unterstützung, den Ausbau von Prävention im Bildungssystem, eine präventionsorientierte Reform der Steuerung der Ressourcen, Standardisierung und Digitalisierung der Verfahren zur Feststellung von Bedarfen. Für das Gutachten wurden zahlreiche Feststellungsverfahren und Fallakten analysiert. Aber nicht nur Nordrhein-Westfalen beschäftigt sich mit der aktuellen Praxis der Feststellungsverfahren, auch Schleswig-Holstein hat diesbezüglich ein größeres Projekt in Auftrag gegeben.
Der erste Beitrag in diesem Heft stellt die ersten Ergebnisse aus dem Projekt StaFF vor. Ein Vergleich dieser beiden Bundesländer mit den angelegten Standards ist sicherlich sehr interessant! Die Empfehlungen verweisen auf die Digitalisierung von Feststellungsverfahren. Hier hat Sachsen in den letzten Jahren ein großes Projekt (DigiDuF) gestartet. Seit dem Schuljahr 2023/24 wird das Verfahren vollständig digital durchgeführt. Über eine geschützte Plattform können Fallakten angelegt werden, diese werden nach Einrichtung an die Kolleginnen und Kollegen weitergeleitet, die Ergebnisse können eingetragen und Förderpläne erstellt werden. Alle Verfahrensschritte sind so vereinheitlicht und mit den rechtlichen Grundlagen hinterlegt. Außerdem wurde eine Verlinkung zu einem neuen digitalen Handbuch für sonderpädagogische Diagnostik und Förderung (verfügbar seit dem 10.06.2024) hergestellt.
In den Empfehlungen in Nordrhein-Westfalen wird eine präventionsorientierte Zuweisung der Ressourcen vorgeschlagen. Diese setzen einige Bundesländer in Deutschland bereits um, z. B. Berlin, Hamburg, Hessen und Niedersachsen. Dies geschieht auf sehr verschiedenen rechtlichen Grundlagen. Auch hierzu gibt es Gutachten bzw. wissenschaftliche Projekte (bspw. durch Schuck und Kollegen in Hamburg, EiBiSch-Studie 2018).
Der Verband Sonderpädagogik sieht hier auch wichtigen Bedarf und geht aktuell einem entsprechenden Antrag der Hauptversammlung mit besonderem Fokus auf die sonderpädagogischen Schwerpunkte Emotionale und soziale Entwicklung, Lernen sowie Sprache und Kommunikation nach.
Was noch nicht wirklich umgesetzt wurde, aber sowohl in Nordrhein-Westfalen als auch in Schleswig-Holstein (auch in dieser Ausgabe) gefordert wird: Fehlende Vorgaben und Regularien mit Blick auf die sonderpädagogischen Bedarfe an Unterstützung. Diese müssen noch formuliert werden, und zwar auf der Grundlage wissenschaftlicher Forschungsergebnisse, wie die jeweiligen Zielgruppen dimensional zu fassen sind.
Fehlende Definitionen bemängelt auch Wolfgang Dworschak in seiner kritischen Replik auf den Beitrag von Hans Wocken (Heft 5/24), die Sie als Gastkommentar in dieser Ausgabe finden. Um die Diagnostik im Bereich Sonderpädagogik weiter zu professionalisieren, bedarf es gesicherter Standards.
Lassen Sie uns als Verband Sonderpädagogik dafür eintreten, dies gegenüber der Politik fordern und von unseren wissenschaftlich arbeitenden Mitgliedern im Form von weiteren Projekten erbringen. Wir wünschen Ihnen gute Anregungen beim Lesen der Beiträge für Ihre diagnostische Praxis und freuen uns auf weitere Diskussionen diesbezüglich in den Gremien und bei unseren Bundesfachkongressen.
Prof. Dr. Conny Melzer und Dr. Peter Wachtel
Tagung der Landesreferentinnen und Landesreferenten des Referats „Förderschwerpunkt Geistige Entwicklung“