Gewaltfreie Kommunikation bei Menschen mit Behinderung: GFK als Basis für bedürfnisorientierte Begleitung.

Nimrich, Karen (2022)

Ich bin die Mutter einer 18-jährigen Tochter mit Behinderung und das Buch „Gewaltfreie Kommunikation bei Menschen mit Behinderung“ von Karin Nimrich hat mir sehr geholfen, mit herausfordernden Situationen, die ich öfter mit ihr habe, besser zurecht zu kommen. Unsere Tochter ist nonverbal und auf dem intellektuellen Stand einer Fünfjährigen. In dem Buch wird „Gewaltfreie Kommunikation bei Menschen mit Behinderung“ sehr verständlich erklärt – auch anhand von Fallbeispielen mit Lösungsvorschlägen. Am Ende jeden Themas wird der Inhalt anschaulich in einer Tabelle oder in Stichpunkten zusammengefasst. Es gibt viele Übungen und mehrere Buchseiten bieten Raum für eigene Notizen. Am Anfang werden folgende Punkte veranschaulicht: Empathie, das 4-Ohren-Modell der GFK (Beobachtung, Gefühle, Bedürfnisse, Bitten) und der Umgang mit Macht.

Um die Bedürfnisse bei Menschen mit Behinderung besser verstehen zu können, finde ich vor allem die Erklärung der sozio-emotionalen Entwicklung von Menschen sehr hilfreich. So kann ich den geistigen Entwicklungsstand meiner Tochter und das daraus resultierende Verhalten besser einordnen. Auf zehn Seiten geht Karen Nimrich auf die neun Entwicklungsphasen des Menschen von Geburt bis zum Erwachsenenalter ein. Anschließend stellt die Autorin in einer Tabelle die jeweiligen Gefühle und wesentlichen Bedürfnisse innerhalb der Phasen dar. So versteht man sehr gut, warum ein Mensch, der noch in einer dieser Phasen feststeckt, anders reagiert als Gleichaltrige ohne Behinderung. Auch wird einem klar, dass Menschen mit Behinderung mehr Zeit brauchen, um Zusammenhänge zu verstehen oder sich an neue Situationen zu gewöhnen. Insgesamt achte ich nun darauf, uns mehr Zeit für Abläufe zu geben und wenn meine Tochter ungeduldig oder überfordert reagiert, versuche ich, mich in sie hineinzuversetzen. Wenn ich ihre Bedürfnisse und Gefühle des Moments erfasse und ihr sage, dass ich diese verstehen kann, verbessert das die Situation meistens schon und wir suchen nach einer Lösung, die für sie besser zu akzeptieren ist. Wie auch Brodersen in dem Buch zitiert wird: Es scheint meiner Tochter eine Hilfe zu sein, mit ihren Bedürfnissen wahrgenommen zu werden, auch wenn ich sie nicht immer erfüllen kann.

Ebenso ist das Kapitel „Selbstempathie als Form der Selbstfürsorge“ ein sehr wichtiges Thema. Karen Nimrich erinnert daran, in sich selbst hineinzuhorchen, Verantwortung für die eigenen Gefühle zu übernehmen, aus denen unsere Bedürfnisse und Handlungen entstehen. Und sein Gegenüber mit seinen Bedürfnissen genauso wichtig und ernst zu nehmen, wie sich selbst und die eigenen Bedürfnisse.

Ich habe meine Kommunikation verändert und fühle mich sicherer in schwierigen Momenten mit meiner Tochter. Ich konnte schon einige knifflige Situationen, die ich mit ihr erlebt habe, abschwächen und ins Positive lenken. Dank dieses Buchs haben wir viel weniger Hyper-Eskalationen und unser Verhältnis hat sich entspannt. Ich empfehle das Buch allen Menschen, die privat oder beruflich mit Menschen mit Intelligenzminderung leben und arbeiten. Es ist aber auch generell eine gute Anleitung, seine Kommunikation mit seinen Mitmenschen und der Partnerin bzw. dem Partner zu verbessern. So gibt es auch das Kapitel Gewaltfreie Kommunikation im Team, welches sehr hilfreich für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer ist, die in Gruppen arbeiten. Ich wünschte mir sogar, jeder würde das Buch lesen, da es anleitet, alle Menschen ernst zu nehmen und ihnen auf Augenhöhe zu begegnen, unabhängig vom Alter oder der geistigen Entwicklung, denn es ist die Aufgabe der gesamten Gesellschaft, dass Menschen mit Unterstützungsbedarf ein selbstbestimmtes Leben führen können.

Anika Slawinski

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