Kindeswohl interdisziplinär

Schmidt, A. & Westhoff, K. (2020)

Elterliche Trennung hat Konsequenzen für den Entwicklungsprozess bei vielen Kindern im schulpflichtigen Alter und damit eine besondere Relevanz für den schulischen Kontext. Obwohl viele Kinder von dieser Problematik betroffen sind, wird die Thematik der elterlichen Trennung bei der Ausbildung von Lehrkräften kaum behandelt. Entsprechende fachspezifische Publikationen in schulpädagogischen aber auch in sonderpädagogischen Disziplinen stehen hier – bis auf wenige Ausnahmen wie z.B. am Lehrstuhl: Emotionale-prosoziale Förderung der Universität zu Köln – in keinem angemessenen Verhältnis zur diesbezüglichen Bedeutung (Leitner, 2009). Eine intensivere Auseinandersetzung mit strukturellen Merkmalen der elterlichen Trennung und ihrer Wechselwirkung mit Verhaltens- und Lernschwierigkeiten wurde vielfach ignoriert (Leitner, Ortner & Ortner, 2008). Dieses Recherche-Ergebnis führte letztlich auch dazu, dass auf der Interventionsebene im schulischen Kontext nur selten anhand systematisch evaluierter konzeptioneller Überlegungen agiert wurde. Um dem besonderen Bedarf von Kindern in solchen mehr oder weniger gravierenden Notsituationen gerecht werden zu können, muss elterliche Trennung jedoch angemessen und in professioneller Weise akzentuiert werden. Vielfach reagieren betroffene Kinder im schulischen Bereich auf die elterliche Trennung mit Leistungsabfall, „reaktivem Verhalten“ (Karl-J. Kluge) und Problemen im Interaktions- und Sozial-Verhalten. Insgesamt handelt es sich hier um ein beziehungsbedeutsames Thema, das auch aufgrund eines konzeptionellen Defizits dringend einer Bearbeitung bedurfte und deshalb in der Lehrerbildung der Universität zu Köln in Interaktiven Workshops der „ElternUni“ ständig ein erwünschtes Thema ist.

Der Band von Schmidt & Westhoff, 2020, Kindeswohl interdisziplinär: Empirische Ergebnisse für die juristische Praxis bei Trennung der Eltern aus dem Nomos-Verlag Baden-Baden, (mit einem Vorwort von Prof. Dr. Bernd von Heintschel-Heinegg, Vorsitzender Richter am Oberlandesgericht München für Staatssicherheit a.D., Vorsitzender Richter am Bayerischen Obersten Landesgericht für Staatssicherheit a.D.) wird als Basisliteratur zur Ausbildung von Sonderschulpädagogen verwendet, damit die Auswirkungen von Trennung der Eltern auf die Kinder verstanden werden. Dieser Band schließt die Lücke zwischen Normen, rechtswissenschaftlichen Auslegungen und konsensfähigen humanwissenschaftlichen empirischen Ergebnissen zur Konkretisierung des unbestimmten Rechtsbegriffs Kindeswohl.

Die rechtlichen Grundlagen und die zu beachtenden Urteile des Bundesverfassungsgerichts und des Bundesgerichtshofs zum Kindeswohl stellt der erste Teil des Buchs dar; sie sind das Gerüst für den zweiten größeren Teil, der die humanwissenschaftlichen übereinstimmenden empirischen Fakten nachvollziehbar und wohlstrukturiert präsentiert. Die normative Bestimmung und fallbezogene Auslegung des Kindeswohlbegriffs kann nur gelingen, wenn hierbei auf Wissen zurückgegriffen wird, das sich auf die soziale Lebenswirklichkeit des Kindes bezieht, also auf psychologisches, pädagogisches und soziologisches Wissen. Die Humanwissenschaften liefern hier ein zu den rechtlichen Entscheidungskriterien korrespondierendes Wertesystem und damit einen Maßstab, das Kindeswohl im Einzelfall zu beurteilen und die Entscheidungsfindung auf eine faktenbasierte Grundlage zu stellen. Die hier dargestellten humanwissenschaftlichen Inhalte, die zur Ausfüllung des Rechtsbegriffs Kindeswohl herangezogen werden, halten dabei der rechtlichen Betrachtungsweise stand und sind somit für den
Juristen verwendungsfähig, um die Rechtssicherheit garantieren zu können. Dieser interdisziplinäre Ansatz einer humanwissenschaftlichen Kommentierung der rechtlichen Kindeswohlkriterien kann folgenden Zielgruppen als Arbeitshilfe zur Verfügung gestellt werden: Familienrichter, Verfahrensbeistände, Umgangspfleger, Ergänzungspfleger, Sachverständige, Mediatoren, Jugendamtsmitarbeiter, Anwälte, Politiker, Lehrern und Eltern.

Karl ­J. Kluge