Positionierung des Verbands Sonderpädagogik zu Konsequenzen aus dem Gutachten der Ständigen Wissenschaftlichen Kommission (SWK) der Kultusministerkonferenz (KMK) „Basale Kompetenzen vermitteln – Bildungschancen sichern. Perspektiven für die Grundschule

Der Verband Sonderpädagogik e. V. (vds) begrüßt die Mitteilung des Generalsekretärs der Kultusministerkonferenz (KMK) vom 20. Dezember 2022 an die Vorsitzende der Jugend- und Familienministerkonferenz sowie zukünftige Vorsitzende der KMK, Frau Senatorin Busse, unter der Überschrift Bildungschancen stärken – gemeinsam die Verantwortung für Bildung und Erziehung übernehmen ausdrücklich.

Er stellt jedoch fest, dass noch wesentliche Aspekte der inklusiven Bildung, Erziehung, Begleitung und Förderung von Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen als gesellschaftspolitisches Ziel von zentraler Bedeutung im Sinne des Auftrags der UN-Behindertenrechtskonvention fehlen.

Der ganzheitliche, inklusive Bildungsbegriff umfasst das formale, nonformale und informelle Lernen sowie die Bildung der Gesamtpersönlichkeit aller jungen Menschen. Bildung ist ein aktiver, komplexer und nie abgeschlossener Prozess, dessen wesentliche Kennzeichen pädagogische Begleitung und lebenslanges Lernen sind.

Emotionale, soziale sowie schulbezogene Kompetenzen und Fähigkeiten bilden die Voraussetzungen für ein selbstbestimmtes und zukunftsfähiges Leben in unserer Gesellschaft. Lern- und Bildungsprozesse können nicht fragmentiert werden, sondern betreffen die ganzheitliche Entwicklung aller Kinder, Jugendlichen und jungen Erwachsenen.

Ein ganzheitliches Bildungsverständnis betrifft daher nicht nur die Arbeitsfelder der Kultusminister- (KMK) sowie der Jugend- und Familienministerkonferenz (JFMK), sondern ebenfalls die der Arbeits- und Sozialminister- (ASMK) sowie der Gesundheitsministerkonferenz (GMK). Daraus folgt notwendigerweise eine enge und verbindliche Zusammenarbeit auf allen Ebenen und zwischen den verantwortlichen Entscheidungsträgern und Institutionen in Bund, Ländern und Gemeinden.

Zahlreiche wissenschaftliche Studien belegen, dass immer mehr Kinder bereits vor Schuleintritt und in der Schulanfangsphase erhebliche Probleme in der emotionalen und sozialen Entwicklung aufweisen. Diese werden durch schulische Anforderungen häufig noch verstärkt sichtbar. Grundsätzlich gilt, dass ein frühzeitiges, enges und verbindliches Zusammenwirken von Schule, Jugend- und Eingliederungshilfe, Gesundheit und Familie zwingend geboten ist, um Weichen richtig zu stellen sowie Beziehungsabbrüche und Misserfolgserlebnisse weitestgehend zu vermeiden.

Leider führt in der aktuellen Praxis die Aufteilung der Zuständigkeiten auf die unterschiedlichen Ressorts zu erheblichen Problemen bei der Bestimmung der unterschiedlichen Personenkreise, aus denen Zuständigkeitsstreitigkeiten, enormer Verwaltungsaufwand und vor allem Schwierigkeiten bei der Erbringung von Leistungen im erforderlichen Umfang für Kinder und Jugendliche sowie deren Familien resultieren. So agieren Systeme nebeneinander und zuweilen unabgestimmt gleichzeitig, die durch die ihnen zugrundeliegenden institutionellen Strukturen wenig kompatibel sind.

Mit Blick auf die gegenwärtigen Herausforderungen im Bildungsbereich und auf eine gemeinsame Bildungsverantwortung für alle jungen Menschen müssen die verantwortlichen Ressorts dringend einen neuen, kooperativen Ansatz der Arbeit entwickeln. Es kommt darauf an, unverzüglich die offenen Fragen jeweils theoriegeleitet auf der Handlungsebene zu diskutieren und die eigene Perspektive in einen neuen Bildungsdiskurs einzubringen. Nur so kann endlich nach vielen Anläufen die angestrebte Große Lösung bzw. die Hilfe wie aus einer Hand im Bereich der schulischen Bildung, der Kinder- und Jugend- sowie der Eingliederungshilfe und der Gesundheitsversorgung realisiert werden.

Zur Gestaltung eines dazu notwendigen Entwicklungsprozesses schlägt der vds gemeinsame Handlungsschritte vor:

  • Gewährleistung personeller und sächlicher, organisatorischer und barrierefreier infrastruktureller Voraussetzungen
  • Bereitstellung angemessener Zeit- und Finanzressourcen auf allen Ebenen, um die Zusammenarbeit und Kooperation der Akteure in diesem Prozess zügig und umfassend weiterzuentwickeln
  • Förderung von vereinfachter Zusammenarbeit, Organisation und Verwaltung zwischen den Ressorts, einschließlich geeigneter Finanzierungsmodelle aus einer Hand, um Schnittstellen im Interesse der Eltern, Kinder und Jugendlichen so zu gestalten, dass systemübergreifende Leistungen gewährt werden können
  • Entwicklung eines gemeinsamen Rahmenplans Bildung, Entwicklung, Erziehung und Begleitung für die Entwicklungsphasen der 0- bis12-Jährigen und der Jugendlichen und jungen Erwachsenen, da es für jede Lern- und Bildungsbiografie von enormer Bedeutung ist, dass die Persönlichkeitsentwicklung von Anfang an aus einem Guss ohne Brüche über die Arbeitsfelder hinweg gestaltet werden kann
  • Formulierung von bundeseinheitlichen Qualitätsstandards für Bildung sowie deren Auswirkungen auf Ausstattungsstandards auf der Grundlage des Bundesverfassungsgerichtsurteils vom 19. November 2021 im Rahmen seiner Entscheidung zur Bundesnotbremse II (Schulschließungen)
  • Prüfung aller Konzepte und Projekte, die eine aufsuchende Elternarbeit beinhalten, mit dem Ziel, diese zu stärken und auf Augenhöhe auszugestalten
  • Entwicklung eines Verfahrens zum Umgang mit Individualdaten sowie zum Datenaustausch, ohne Persönlichkeitsrechte zu gefährden, denn nur so kann im Sinne einer gelingenden Erziehungs- und Bildungspartnerschaft mit Sorgeberechtigten der Entwicklungsweg von jungen Menschen kontinuierlich nachvollzogen werden
  • Stärkung der gegenseitigen Anerkennung unterschiedlicher Professionen und Arbeitsfelder.

Angesichts der Fülle und des Umfangs der vorgeschlagenen Handlungsschritte schlägt der vds die Einrichtung eines länder- und ressortübergreifenden Fachausschusses „Bildungschancen sichern“ mit Vertreterinnen und Vertretern der KMK, JFMK, ASMK und GMK in multiprofessioneller Zusammensetzung unter Einbeziehung wichtiger Akteure der Wissenschaft und der Zivilgesellschaft vor.

Weiterhin schlägt der vds in Anbetracht der großen Herausforderungen ein Sondervermögen Bildung in Form eines Bildungsfonds vor, da dieser im Gegensatz zu einem reinen Sondervermögen zusätzlich zur Pflichtaufgabe Bildung des Bundes und der Länder und Kommunen Gelder von Stiftungen, Wirtschaftsunternehmen und Privatpersonen einwerben könnte.