Praxiswissen Schulhund Sonderpädagogischer Schwerpunkt Geistige Entwicklung

Schäfer, Holger; Schönhofen, Karin & Beetz, Andrea (2023).

Stuttgart: Kohlhammer 202 Seiten, 36,00 € ISBN: 978-3170433939.

Das Erfahrungswissen zeigt: Tiere sind für Kinder sehr bedeutsam. In Kinderbüchern wird versucht, Kinder über Tiere gezielt anzusprechen. Auf der Basis kulturvergleichender Untersuchungen wird wissenschaftlich die Möglichkeit einer anthropologischen Konstanten „Biophilie“ (Gebauer &Harada, 2005) angenommen. Auch im umfangreichen Theorieteil dieses Buchs wird ein kleines Kapitel dieser Dimension gewidmet. Auf der Ebene der Zugänglichkeit im didaktischen Kategorienraster Klafkis ist schon bereits aus Erfahrungswissen die Thematik „Tiere in der Schule“ von besonderer Relevanz. Aber auch die therapeutische Forschung und Praxisevaluation zeigen die Bedeutung dieses Themas.

Gerade der Hund als Tier ist bei allen Kindern mit und ohne besonderen Unterstützungsbedarf emotional hoch besetzt. Daher ist es außerordentlich wichtig, dass das Autorenteam Holger Schäfer, Karin Schönhofen und Andrea Beetz ein Kompendium zum Schulhund vorgelegt haben. Sie haben ihr Buch in den sonderpädagogischen Schwerpunkt „Geistige Entwicklung“ eingeordnet. Je mehr ich in das Buch eingestiegen bin, umso deutlicher kam der Gedanke auf, warum dieses Buch nicht für alle Kinder angeboten wird, denn der Schulhund als Präsenzhund und als Besuchshund sowie tiergestützte Pädagogik unterstützen das Lernen aller Kinder. Auch tiergestützte Intervention ist nicht nur für Kinder mit sonderpädagogischem Unterstützungsbedarf hilfreich. Jedes Kind braucht Anregung für die Ausschüttung des Hormons Oxytocin, was nachgewiesenermaßen durch das Streicheln eines Hundes passiert. Aber Kinder mit besonderem Unterstützungsbedarf brauchen dies besonders.

Ein Kapitel ist den Ausbildungsfragen für Lehrpersonen im Umgang mit dem Schulhund gewidmet. Auch dies zeigt, wie stark dieses Buch auf eigenen Praxiserfahrungen des Autorenteams basiert. Es werden keine Praxisphantasien entworfen, sondern klar die Schritte auf dem Weg zum Ziel analysiert. Das Buch bietet in seinem umfangreichen und detaillierten Praxisteil derart viele pädagogisch wertvolle Anregungen, dass ich mir wünsche, die vorgeschlagenen Praxisansätze werden für alle Kinder aufgegriffen. Hier seien nur einige genannt, um zu illustrieren, wie breit und interessant dieses Buch angelegt ist: So werden sechs Regeln empfohlen, die klar und positiv formuliert den Umgang mit dem Schulhund strukturieren. Wortschatzübungen mit den Utensilien des Hundes werden nachvollziehbar vorgestellt. Mathematische Operationen mit konkreten Leckerlis für den Hund werden anschaulich erläutert. Es wird sogar vorgeschlagen, dem Hund eine gewisse Lehrfunktion zuzubilligen. Dies soll mit dem GEO-Würfel passieren, den der Hund offensichtlich bewegen kann und so die jeweilige Aufgabe, mit der das Kind sich beschäftigen soll, herauswürfelt. Und dies ist nicht die einzige pfiffige Idee, mit dem Hund motiviertes Lernen anzuregen.

Im Buch sind auch Materialien – wie das Erproben verschiedener Verschlüsse – vorgestellt, die klassischerweise zum Handlungsrepertoire bei Kindern mit geistigem Entwicklungsbedarf gehören (S.125ff.), aber die meisten Materialien wie Erste Hilfe, Nahrungsgabe, Leseleine etc. sind kreative oder sinnvolle Anregungen für alle Kinder, aber die genaue, klar strukturierte Lehrweise, die durchgängig beschrieben wird, ist für Kinder mit besonderem Unterstützungsbedarf essenziell. Für jeden Lernbereich gibt es eine Vielzahl an Vorschlägen, wie methodisch ausgehend von der Präsenz eines Schulhunds gearbeitet werden kann, um einen motivierenden Unterricht zu ermöglichen. Diese Anregungen gehen über die klassischen schulischen Lernbereichsstrukturen hinaus und thematisieren auch die Möglichkeiten von Klassenfahrten mit dem Schulhund.

Für mich persönlich das wichtigste Kapitel war der Abschnitt über Trauerarbeit. Ich hatte in meiner eigenen Praxisarbeit mehrfach Wüstenrennmäuse als Klassentiere gehalten, die durchschnittlich nur drei Jahre Lebenserwartung haben. Mehrfach mussten meine Klassen Abschied nehmen und Rituale der Trauerarbeit finden, wie Abschiedsbotschaften an die Maus zu schreiben oder die Grabstätte als Klassengeheimnis niemandem zu verraten, um die Grabstätte ungestört durch andere Kinder weiter pflegen zu können. Ich weiß, wie intensiv gerade das soziale Lernen durch so ein trauriges Ereignis sein kann. Von daher zeigt die Aufnahme auch des Absatzes über Trauerarbeit, dass wirklich alle wichtigen pädagogischen Potentiale des Umgangs mit Klassentieren in diesem Buch ausgeschöpft worden sind.

Gerade die gründlichen Vorbereitungsabschnitte von den Effekten der Mensch-Tier-Interaktion über Bindungstheorien bis hin zu den Risiken des Einsatzes von Schulhunden macht das Buch zu einem wichtigen Kompendium für alle Schulen. Das Buch ist nicht nur gründlich inhaltlich durchdacht, sondern auch sehr strukturiert gemacht. Es gibt viele wichtige weiterführende Literaturangaben in der sorgfältig redigierten Literaturliste, ein alphabetisch geordnetes Register, mit dessen Hilfe man sehr schnell wichtige Passagen des Buchs auffinden kann.

Der Titel ist zu bescheiden gewählt, es geht nicht nur um Praxiswissen, sondern vor allem um didaktisch relevante Hintergrundinformationen und gründlich dargestellte Praxisanregungen, die in dieser Dichte sonst noch nicht kompakt verfügbar sind. Dem Autorenteam ist zu wünschen, dass die vielen Ideen und Gedanken, die offenkundig aus intensiver Praxiserfahrung erwachsen sind, von vielen Schulen aufgegriffen werden.

Verwendete Literatur:
Gebauer, M. &Harada, N. (2005). Naturkonzepte und Naturerfahrung bei Grundschulkindern. Ergebnisse einer kulturvergleichenden Studie in Japan und Deutschland. In D. Cech & H. Giest (Hrsg.),
Sachunterricht in Praxis und Forschung – Erwartungen an die Didaktik des Sachunterrichts
(S.191–206). Bad Heilbrunn/Obb.: Klinkhardt.

Astrid Kaiser