Schulerfolg trotz Erkrankung. Acht junge Menschen berichten

Meister, Mona (o.J.).

Acht junge Erwachsene mit chronischen, somatischen oder psychischen Erkrankungen oder aus dem Autismus-Spektrum im Alter von 24 bis 29 Jahren kommen zu Wort, teilweise in Interviews. Sie beschreiben in der Retrospektive ihre Erfahrungen im außerschulischen und schulischen Umfeld. Schwerpunkte bei den Berichten aus dem schulischen Bereich liegen auf den Themen Nachteilsausgleich, Schulabschluss unter besonderer Berücksichtigung des Abiturs und spezifische unterrichtsbezogene Aspekte wie Unterricht in Kleingruppen und Zusammenhänge von Erkrankung und Medikation in als diskontinuierlich bezeichneten Bildungsverläufen. Die Berichte „sprechen für sich“ – es sind Dokumente von Leidenserfahrungen und -wegen, von Schmerzen, Ausgrenzung und Mobbing, von Ablehnung, Erfahrungen von Gewalt, vor allem jedoch von Angenommensein, Wertschätzung sowie überaus großer Selbstwirksamkeit und Resilienz. Ihre Authentizität wird durch an die Berichte angeschlossene Betrachtungen aus der Perspektive anderer (der Eltern, der Lehrer, der Leiterin des Bildungs- und Beratungs-Zentrums für Pädagogik bei Krankheit in Hamburg) erweitert, kommentiert und durch Informationen über professionelles Handeln ergänzt (Beispiele: Formulierung eines Nachteilsausgleichs im Kontext einer Rheuma-Erkrankung, das Arrangement eines zeitlich „geteilten“ Abiturs). Die Zusammenstellung von vielfältigen persönlichen Erinnerungen und Reflektionen verfolgt ein Ziel: Die Aussagen sollen sowohl Quelle der Inspiration als auch Plädoyer sein. Junge Menschen mit vergleichbaren Voraussetzungen, ihre Familien und ihr Umfeld sollen in ihrem Eintreten für ihr Recht auf Bildung bestärkt werden. Alle in der Schule und in der Bildungsadministration Tätigen werden aufgerufen, in Anerkennung der individuellen Rechte chronisch erkrankter Menschen im Bildungsbereich ihnen entsprechende angemessene Vorkehrungen zu treffen und ihre Teilhabe an Bildung zu gewährleisten. Das wird mit der Ermutigung verknüpft, „kreativ zu sein und ungewöhnliche Wege zu gehen“. Im Vordergrund steht häufig der Verweis auf einen Nachteilsausgleich. Der ist weit mehr als eine organisatorische oder juristische
Angelegenheit, sondern das grundsätzliche Bemühen, jeder und jedem Zugänge zur Aneignung von Wissen und Kompetenzen zu ermöglichen als auch Wege aufzuzeigen, wie diese im Zusammenhang mit Zensuren, Zeugnissen, Prüfungen und Abschlüssen nachgewiesen werden können. So gesehen ist der Nachteilsausgleich ein vorrangiges pädagogisches und nachgeordnete administratives Anliegen.

Die Berichte und die jeweils angefügten Ergänzungen sollen nach dem Willen der Herausgeberin nicht allein wirken und entsprechende Impulse auslösen. In dem zweiten Teil des Bands werden spezifische Fragestellungen des Themenkreises und pragmatische Lösungswege aufgezeigt. Tobias Hensel setzt sich mit dem Zusammenhang von Bildungssituationen und Lebenssituationen auseinander (S.142-146). Rainer Fechner zeigt auf, wie das Erreichen eines Schulabschlusses unterstützt werden kann (S. 148-153). Mona Meister, die Herausgeberin des Bands, beschreibt in Analogie zum Beruflichen ein Schulisches Eingliederungsmanagement (S.154-161). Diese Beiträge enthalten erprobte Konzepte, sowie nützliche und hilfreiche Literaturhinweise, Adressen, weiterführende Links zu Einrichtungen und eine differenzierte Checkliste für Maßnahmen und Kooperationen.

In dem Band kommen eindrucksvoll oder mit Hilfe anderer Menschen mit besonderen Belangen zu Wort. Sie zeigen Barrieren auf, mit denen sie konfrontiert wurden und die sie selbst überwinden oder aushalten konnten. Sie beschreiben Formen der Unterstützung, die sie erfahren haben. Es wird deutlich, wie entwicklungsförderlich und wirksam für den Schulerfolg Prozesse der Selbstermächtigung sind, wie bedeutsam das notwendige Zusammenwirken aller Beteiligten in den Bildungsprozessen ist. Das gemeinsame Bewältigen von Herausforderungen und das kreative Auflösen und Überwinden von Problemen sind befriedigende Erfahrungen in Prozessen pädagogischen Handelns. Rechtliche Vorgaben dienen der Absicherung, Vereinheitlichung und Ermöglichung pädagogischen Handelns, nicht dem Hindern und Hemmen. Die individuellen Bildungsbiografien zeigen, dass die Entscheidung darüber nicht individueller willkürlicher Entscheidung ausgesetzt ist, sondern im verantwortlichen Austausch aller Beteiligten erfolgt. Fehlende Kenntnisse über Verfahren des Nachteilsausgleichs, mangelnde oder einengende untergesetzliche Regelungen oder zu enge Auslegungen in den Bildungseinrichtungen stellen mancherorts noch Hemmnisse dar.

Mona Meister hat mit ihren Mitautorinnen und Mitautoren auf der Erfahrungsgrundlage einer engagierten pädagogischen Zusammenarbeit mit vielen Institutionen in Hamburg ein hilfreiches, nützliches und gewinnbringendes Buch vorgelegt. Die Publikation erhebt nicht den Anspruch auf wissenschaftliche Auseinandersetzung. Das Werk ist auch eine fundierte, reflektierte und respektvolle Auseinandersetzung mit dem Personenkreis, dem die besondere Aufmerksamkeit gilt, in Verbindung mit Kooperationspartnern wie Eltern, Therapeuten, Psychologen und Psychiatern, Schulleitungen, Ärzten, Schulaufsicht und anderen.

Im Bereich Pädagogik bei Krankheit ist viel Expertise entwickelt und erprobt worden. Das Buch hilft Lücken zu schließen zwischen Ohnmacht und Hoffnung. Es kann für alle Interessierten und Hoffnungsträger auch im Hinblick auf Personenkreise mit anderen Bedarfen an Unterstützung mit Nachdruck empfohlen werden – umso mehr, als das Buch sehr ansprechend gestaltet ist: Umschlag, Layout, Schrift, Formatierung, Illustration – die formale und ästhetische Gestaltung – harmonieren mit der offensichtlichen Wertschätzung und dem damit verbundenen Engagement für Menschen mit chronischen Erkrankungen.

Dagmar Brunsch