Leserbrief zu dem Beitrag SZ vom 17. März 2023 „Ganz harte Schule“

An die Redakteurinnen und Redakteure der Süddeutschen Zeitung

Sehr geehrte Damen und Herren,

wir schätzen die journalistische Arbeit der SZ. Deshalb haben wir zum Beitrag von Julia Schriever und Elisa Schwarz vom 17. März diesen Jahres einen Leserbrief verfasst und möchten mit diesem Anschreiben unser Interesse an einem fachlichen Austausch kundtun.

Wir sind eine Gruppe von Kolleginnen und Kollegen, die z.T. bereits lange Zeit im Verband Sonderpädagogik e.V. (vds) als Landesreferentinnen und Landesreferenten für Aus-, Fort- und Weiterbildung tätig sind. Beruflich sind wir mit der Ausbildung von Lehrkräften in allen Bundesländern befasst. Einige von uns arbeiten in der universitären Ausbildung (1. Phase), andere an Seminaren der 2. Phase (Vorbereitungsdienst/Referendariat) und bzw. oder im Rahmen der Fort- und Weiterbildung von Lehrkräften (3. Phase) – immer mit dem Bezug zum Lehramt Sonderpädagogik (Die Berufsbezeichnung variiert je nach Bundesland.). Insbesondere vor dem Hintergrund des aktuellen Lehrkräftemangels ist uns die Qualität der Lehrkräfteausbildung ein zentrales Anliegen.

Die Basis der Ausbildung in der 2. Phase bilden Wissenschaftsorientierung, Personenorientierung und Fehlerfreundlichkeit. Einen zentralen Baustein stellt hierbei die Förderung der Selbstreflexivität der jungen Lehrkräfte dar, die im Schulalltag darauf angewiesen sind, das eigene Handeln immer wieder hinterfragen zu können. Kompetente Planung und Durchführung von Unterricht bilden das Fundament von schulischer Bildung und Erziehung. Daher liegt der Fokus der Ausbildung in der 2. Phase auf dem Transfer des in der 1. Phase erworbenen, überwiegend theoretischen Wissens in die jeweilige Schulpraxis, die insbesondere im Bereich unseres Lehramts in unterschiedlichen schulischen Systemen und Kontexten stattfindet. Lehrkräfte für die verschiedenen sonderpädagogischen Fachrichtungen sind im Rahmen stationärer Systeme (z.B. an Förderzentren) sowie im gemeinsamen Lernen (Inklusion) in allen Schulformen tätig.

Studiengänge sowie die weitere Ausbildung zur Erlangung eines Lehramtes sind in den einzelnen Bundesländern von unterschiedlichen Rahmenbedingungen geprägt. Diese reichen u.a. von der inhaltlichen und organisatorischen Ausgestaltung der universitären Phase über die Dauer und Inhalte des Vorbereitungsdienstes bis hin zu sehr unterschiedlichen Konzepten zur Qualifizierung von sogenannten Seiteneinsteigerinnen und Seiteneinsteigern. Der Blick auf die einzelnen Bundesländer zeigt in allen drei Phasen der Lehrkräftebildung eine große Unterschiedlichkeit hinsichtlich der zugrundeliegenden Gesetzgebung sowie der praktischen Umsetzung.

Positionen zur Lehrkräfteausbildung, die wir im Rahmen unseres Verbands Sonderpädagogik verfasst haben, finden Sie hier https://www.verband-sonderpaedagogik.de/verband/positionen/.

Der Austausch über die Gestaltung der Lehrkräftebildung in allen Bundesländern ist Teil unseres Auftrages als Landesreferentinnen und Landesreferenten für Aus-, Fort- und Weiterbildung des vds. Wir treffen uns einmal im Jahr zu einer mehrtägigen Arbeitstagung, aktuell im Mai 2023 in Heidelberg, wo wir diese, zeitlich durchaus verspätete Rückmeldung zu dem Beitrag der SZ vom 17. März 2023 verfasst haben.

Dieser Beitrag aus der SZ zum Vorbereitungsdienst in Bayern „Ganz harte Schule“ hat dazu geführt, dass wir unsere Gedanken dazu in einem Leserbrief zusammengefasst haben und uns als Expertinnen und Experten aus der Praxis für einen Austausch zur Thematik anbieten. Wir regen einen digitalen Austausch mit den für den angesprochenen Themenbereich zuständigen Journalistinnen und Journalisten der SZ an. Gerne bringen wir unsere Erfahrungen aus der Lehrkräftebildung in den unterschiedlichen Bundesländern – aber auch unsere im folgenden Leserbrief formulierten Anliegen – ein.

Leserbrief

„Ganz harte Schule“ – so lautet ein Beitrag in der SZ vom 17. März 2023. Geschildert wird darin, wie eine Lehramtsanwärterin der Grundschule im bayerischen Vorbereitungsdienst unter ihren Ausbildungsbedingungen im Seminar gelitten hat und schließlich sogar erkrankt ist.

Nachvollziehbar und aus der Praxis durchaus zu bestätigen ist, dass es – wie im Artikel dargestellt –  je nach struktureller Ausrichtung des Vorbereitungsdienstes und auch bedingt durch das Handeln von Ausbilderinnen und Ausbildern zu Arbeitskontexten kommen kann, die wenig oder nicht entwicklungsfördernd für (junge) Menschen in Ausbildung sind.

Hospitationen im Unterricht angehender Lehrkräfte sollten in keinem Fall dazu führen, das Selbstwertgefühl von Menschen zu untergraben, stattdessen sollten sie Ausgangspunkt von Reflexion und Beratung sein. Beides kann im Rahmen der Lehrkräfteprofessionalisierung nur im Zusammenhang mit der Beobachtung der Interaktion zwischen Lehrkraft und den ihr anvertrauten Schülerinnen und Schülern erfolgen. Dabei gilt es, erfolgte Lehr- Lernprozesse auf Planungs- und Durchführungsebene zu thematisieren und davon ausgehend das pädagogische sowie didaktisch-methodische Repertoire systematisch aufzubauen und weiterzuentwickeln.

Einzelne im Artikel verwendete Formulierungen wie „Ronja Buff ist keine von diesen „Grundschulmausis“, die schon an der Uni belächelt werden, brav, streberhaft, Federmäppchen mit Glitzerstiften.“  haben uns sehr irritiert und verstärken unserer Ansicht nach die ohnehin schon vorhandene Klischeebildung zu den einzelnen Lehramtstypen sowie den Beruf im Allgemeinen.

Auch gibt die Schilderung einer persönlichen Erfahrung nicht die vielfältige Praxis der Seminararbeit sowohl innerhalb Bayerns als auch in den einzelnen Bundesländern wieder. Um substanzielle Aussagen und durchaus begründete Kritik an der Ausbildung von Lehrkräften darzustellen, ist ein Blick auf das unterschiedliche Handeln und professionelle Selbstverständnis von Ausbilderinnen und Ausbildern – selbstverständlich auch innerhalb Bayerns – und auf die unterschiedlichen strukturellen wie personellen Rahmenbedingungen der 2. Phase in allen Bundesländern notwendig.

Wir sind eine Gruppe von Kolleginnen und Kollegen aus allen Bundesländern, die im Verband Sonderpädagogik e.V. (vds) das Referat Aus- Fort- und Weiterbildung vertreten. Unsere Mitglieder sind bundesweit im Rahmen der unterschiedlichen Phasen der Lehrkräftebildung tätig und haben einen übergreifenden Blick über die strukturellen, personellen und inhaltlichen Rahmenbedingungen in den einzelnen Bundesländern.

Die am Ende des Beitrages benannte „Freude an der Arbeit mit den Kindern“ teilen wir. Uns vereint das Wissen um die hohe Bedeutung der Ausbildung von Lehrkräften sowie die Kenntnis aktueller Forschungsergebnisse zur Professionalisierung im Lehrberuf. Die Begleitung von zukünftigen bzw. bereits in der Praxis stehenden Lehrkräften stellt für uns ein Tätigkeitsfeld dar, das wir über z.T. lange Zeiträume im länderübergreifenden Austausch mit hohem Engagement ausfüllen. Dabei nimmt die Sorge um die Qualität der Lehrkräftebildung – vor allem vor dem Hintergrund des aktuellen Lehrkräftemangels – großen Raum ein.

Aktuell arbeiten alle Bundesländer zur Aufrechterhaltung der Unterrichtsversorgung mit sogenannten Vertretungslehrkräften, die über keine oder keine abgeschlossene Lehramtsausbildung verfügen. Angesichts dieser prekären Situation scheint es uns wenig hilfreich, einen derart negativ gefärbten Artikel zu veröffentlichen. Dort wird die Ausbildung im Grundschullehramt in einem Bundesland sehr einseitig und verallgemeinernd negativ dargestellt. Auch wenn das subjektiv Erlebte der Realität entsprechen mag, könnte es doch von Leserinnen und Lesern auf die Lehrkräftebildung im Allgemeinen übertragen werden.

Um Lehrkräftebildung in allen Phasen wirksam und nachhaltig zu gestalten, müssen unserer Meinung nach geeignete Rahmenbedingungen vorhanden sein oder geschaffen werden. Die Mehrzahl der Bundesländer bildet Referendarinnen und Referendare beispielsweise in einem Team von Ausbilderinnen und Ausbildern aus. Dies ermöglicht mehrere Beratungsperspektiven und verhindert eine allzu große persönliche Abhängigkeit von einer einzigen ausbildungsleitenden Person, wie sie in dem Artikel geschildert wird.

Vor dem Hintergrund unserer langjährigen Erfahrung als Lehrerinnen und Lehrer bzw. Ausbilderinnen und Ausbilder möchten wir junge Menschen oder auch Menschen aus anderen pädagogischen Berufen ermuntern, den Schritt in den Lehrberuf zu gehen. Es lohnt sich! Die Arbeit mit den Schülerinnen und Schülern bleibt über all die Jahre ausgesprochen abwechslungsreich und vielfältig! Die Gestaltungsmöglichkeiten und die Wirksamkeit im Kontext von Schule sind sehr hoch!

Sabine Ladwig, Bundesreferentin Aus-, Fort- und Weiterbildung, Verband Sonderpädagogik e.V. (vds). . 22.05.2023